Ungeduld ist mittlerweile wirklich gesellschaftlich akzeptiert, da wir alle möglichst effizient mit unserer Zeit umgehen sollen und wollen. Auf etwas warten - nein, das kommt nicht in Frage. Nehmen Sie zum Beispiel Fotoabzüge: Eine Woche darauf warten? Heute undenkbar, vor dem Aufkommen der digitalen Fotografie die Normalität. Sie möchten ein bestimmtes Musikalbum hören? Früher bedeutete das den Gang in einen Musikladen und - falls der Musikgeschmack etwas ausgefallener war - abwarten, bis die gewünschte CD ihren Weg über den Verlag / Großhändler und den Musikladen zu Ihnen nach Hause gefunden hat. Mittlerweile können Sie die Musik ganz legal im Internet herunterladen oder streamen. Wir sind es gar nicht mehr gewohnt, auf etwas zu warten, das wir (haben) wollen.

Anders sieht es aus mit den Situationen an Supermarktkassen, roten Ampeln oder beim Arzt im Wartezimmer. Hier werden wir gezwungen zu warten - und dieses Gefühl der Machtlosigkeit in Bezug auf den Zeitpunkt, an dem wir bezahlen und damit den Supermarkt verlassen können, unsere Fahrt fortsetzen können oder endlich aus einem überfüllten Wartezimmer heraus kommen, nervt uns maßlos. In solchen Situationen merke ich, dass ich das Warten nicht mehr gewohnt bin. Alles soll zügig erledigt werden - ich habe schließlich keine Zeit. Oder besser gesagt: ich will mir diese Zeit nicht nehmen! Es fühlt sich eben nicht gut an, ausgebremst zu werden.

Das Bild hängt über meinem Schreibtisch - aus gutem Grund ;-)

 

In solchen Situationen merke ich, dass ich das Warten nicht mehr gewohnt bin. Alles soll zügig erledigt werden - ich habe schließlich keine Zeit. Oder besser gesagt: ich will mir diese Zeit nicht nehmen! Es fühlt sich eben nicht gut an, ausgebremst zu werden.

Was steckt - außer diesem unangenehmen Gefühl der Machtlosigkeit - noch hinter unserer Ungeduld? Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Geduld auch etwas mit Selbstbeherrschung und Impulskontrolle zu tun hat. Der bekannteste Versuch dazu ist wohl der Marshmallow-Test von Walter Mischel.1 Kindern wurde ein Marshmallow quasi vor die Nase auf den Tisch gelegt. Wenn Sie diesen nicht essen, bis die Versuchsleiter nach einigen Minuten wieder in den Raum kommen, bekommen sie einen zweiten dazu. Wahrscheinlich denken sie jetzt: Was für eine Frage? Natürlich wartet man diese Zeit ab, weil man anschließend ja doppelt so viel zum Naschen hat... Tja, so leicht ist das aber nicht. Nur wer langfristig denkt und seinen Impuls (Hmmmm, lecker! Möchte ich essen!) zurückstellen kann, widersteht dem Drang, das Teil zu verputzen.

Was haben Marshmallows nun aber mit unserem Alltag zu tun? Eigentlich kann man die Marshmallows durch jedes verlockende Etwas ersetzen, dass sich zwischen uns und unsere langfristigen Ziele drängt: gemütliche Couch statt Sportlerfigur, spontane Geldausgaben statt Sparen für größere Anschaffungen oder einen tollen Urlaub, ... oder ... oder... Die Frage, die wir uns in solchen Situationen immer wieder stellen müssen, lautet: Wie wichtig ist mir mein langfristiges Ziel und bin ich bereit, dafür auf den kurzfristigen Genuss, etc. zu verzichten?

Das passt auch zu den Ergebnissen, die Wissenschaftler ausgehend vom o.g. Versuch in einer langfristigen Studie herausgefunden haben: Kinder, die in dieser Situation abgewartet haben, kamen auch im normalen Leben besser klar. Sie wurden als zielstrebiger, erfolgreicher in der Schule und sozial kompetenter beurteilt. Zusätzlich konnten sie mit Rückschlägen besser umgehen.1 Sie waren grundsätzlich besser in der Lage, nicht nur auf kurzfristige Anreize zu reagieren, sondern konnten auch langfristige Ziele verfolgen. Sie handelten - vereinfacht gesagt - überlegter.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, was denn das ungeduldige Warten an einer roten Ampel mit überlegterem Handeln zu tun haben soll... Okay, ich erkläre es Ihnen ;-) Wenn Sie an der Ampel stehen und warten, bedeutet das, dass Sie unbewusst oder bewusst die Entscheidung getroffen haben zu warten. Ganz platt gesagt: Sie hätten auch bei Rot weiterfahren /-gehen können, allerdings mit dem Risiko eines Unfalls, einer Geldstrafe oder im Extremfall sogar mit dem Entzug des Führerscheins. Sie haben also ene Entscheidung getroffen und wenn Sie sich diesen Entscheidungsspielraum bewusst machen, fühlt sich die Warterei vielleicht auch nicht mehr ganz so machtlos an.

Ein weiterer Punkt, durch den Sie Wartezeiten angenehmer gestalten können, ist Ihre persönliche Bewertung der Situation. Sie können sich über die Warteschlange an der Supermarktkasse aufregen, ungeduldig hin- und herzappeln und vielleicht auch noch wütend die Öffnung einer weiteren Kasse einfordern. Wenn Sie Glück haben, wird vielleicht eine weitere Kasse geöffnet, aber Ihre Laune ist wahrscheinlich trotzdem nicht die beste. Welche Möglichkeit haben Sie noch? Sie können die Wartezeit für sich nutzen. Sehen Sie die Wartezeit doch als geschenkte Zeit an, in der Sie über etwas Positives nachdenken können. Oder schauen Sie sich doch mal mit offenen Augen um, was es Sehenswertes genau an dieser Stelle zu entdecken gibt. Oder genießen Sie einfach das Nichtstun / Nichtsdenken ... oder ... oder... (Auch das wird übrigens im Experiment von Mischel deutlich: Die Kinder, die durchgehalten haben, haben sich kreativ abgelenkt.)

Klar - das alles wird nicht dazu führen, dass Sie schneller bezahlen und den Supermarkt verlassen. Aber vielleicht empfinden Sie die Wartezeit dann nicht mehr so schlimm, sondern eher als Auszeit von der Alltagshektik. Statt zusätzlichen Stress bei uns und den anderen Beteiligten aufzubauen, können wir also auch für Entspannung bei uns und den anderen sorgen - es ist unsere Entscheidung, wie wir mit solchen Situationen umgehen wollen. Und bei unserer Neigung, immer mehr Aktivitäten in kürzerer Zeit zu erledigen, kann etwas (kreative) Auszeit wohl wirklich nicht schaden.

Ich habe auf dem Weg raus aus meiner Siedlung auch so eine Ampel, die meine Geduld strapaziert - ab heute versuche ich sie eher als "Trainingspartner" für meine Geduld zu sehen... mal schaun, wie's wirkt. ;-)

1 Weiterführende Literatur: Walter Mischel, Der Marshmallow-Effekt. Wie Willensstärke unsere Persönlichkeit prägt. Pantheon, München 2016

 

 

 

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